E r n s t a l b r e c h t   S t i e b l e r

Ernstalbrecht Stiebler

Ernstalbrechts Stieblers Neigung zum Reduktionismus wurde bereits mit seinen ersten Werken in den frühen 60er Jahren ersichtlich, lange bevor der Begriff geprägt wurde, und sie verfestigte und artikulierte sich ständig fort - bis heute. Dies nur dem Einfluß von John Cage zuzuschreiben, der bereits Ende der 1950er Jahre mit einer gelasseneren Sicht auf den Begriff Musik für Furore gesorgt hatte, bzw. von Morton Feldman oder Giacinto Scelsi, die ohnehin erst später in Stieblers Gesichtsfeld gerieten - und die er als Redakteur für Neue Musik beim Hessischen Rundfunk ganz ausdrücklich förderte - wäre allzu schlicht gedacht. Während die Postserialismen Komplexität bewahren und Expressionismus wiedererobern wollten, machten seine ersten Kompositionen sich kenntlich durch Weglassen, und nicht nur von Tönen, sondern ganzer Gestaltungsprinzipien. Das Zerbrechen der Formen - bzw. die Weigerung, verbindliche erzählerische Formen zu bilden, verlieh jeder klanglichen Wendung die Größe eines musikalischen Erlebnisses. Weniger war hier wirklich mehr, und dieses Paradox bewahrt Stiebler.

In seinen frühen Werken ist eine Nähe zu Anton Webern offensichtlich, dem großen Abstrakten der Zweiten Wiener Schule, aber zum komplexeren und vor allem expressiveren Serialismus, deren Protagonisten wie Boulez, Stockhausen, auch Bernd Alois Zimmermann um eine staatstragende, einzig richtige Musik rangen, stand er in Opposition. Ein Kernbegriff ist "Raum" - der innere und der äußere Raum, also das, was der Klang im physikalischen Raum bewirkt und gleichermaßen im Hörer - Hören ist Existieren. Musiker und Hörer treffen sich in der Bemühung um einen gemeinsamen Moment. Musik als dramatische Dienstleistung ist diesem Denken fremd. Stieblers Räume bilden sich aus den extremen Genauigkeiten: im Spiel der Leisheiten, im Spiel feinster Alterationen der Tonhöhen, auch in feinen Varianten gleich scheinender Abläufe. Mit großer Konzentration klärt sich in Stieblers Spätwerk in der Blüte seiner hohen Jahre das Wesen von Klang, und dies hat seine Musik an die Hörer und Orte der alternativen Avantgarde von Noise, Ambient und der Echtzeit-Musik-Szene gebracht, in der schon lang eine Kultur der Auslieferung an den Klang mit Leib und Seele existiert. Daß Stieblers Initiierung des akribischen Hörens auch eine Herausforderung an die Pflege der klassischen Musik darstellt, ist noch nicht angemessen zur Geltung gebracht worden.

Matthias Entreß

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